Vorsprung
Der Vorsprung des Verfolgers
Mir ging durch den Kopf, dass es wenig Sinn macht, einem Ziel hinterher zu rennen, wenn man keinen Vorsprung gewinnen kann. Wenn man aber einen Vorsprung hat, darf man nie als Erster in die Zielgerade einbiegen, als Letzter kann man nicht mehr überholt, sondern nur noch überrundet werden. Also muss man sich zwischen dem Ersten und Letzten bewegen, um schließlich siegreich über die Ziellinie zu gehen. Denn der Vorsprung des Verfolgers liegt in seiner gesammelten Energie, die er erst im Schlußspurt ausspielt. Er ist seinem Gegner voraus, wenn er nicht blind vorausläuft, sondern ihm hinterher ist. Und er kann seinen Gegner genau beobachten. Dieser spürt seinen Atem im Nacken und sieht bald nur noch seine Hacken. Damit löst sich die Paradoxie von dem Vorsprung des Verfolgers auf.
Der Dichter träumt, ihm renne ein Kritiker hinterher. Er fragt sich, was der Kritiker dabei empfinde. Er spürt, wie wichtig es für den Kritiker wäre, mit ihm zu reden. Er empfindet genauso. Aber er genießt es auch, den Kritiker aussichtslos hinterher rennen zu lassen. Plötzlich merkt der Dichter, der Verfolger ist gar nicht der Kritiker, sondern er selbst. Er ist es, der hinterher rennt.
(Martin Walser: Ein Traum in West Virginia (gekürzt). In: Literatur und Kritik. Herausgegeben von Walter Jens aus Anlass des 60. Geburtstags von Marcel Reich-Ranicki. Deutsche Verlagsanstalt Stuttgart, 1980, S. 3)

Ustinov: Dazu fällt mir eine wahre Geschichte von einem Kofferträger ein, dem ich am Flughafen von Dublin begegnet bin. Er bat mich höflich: „Follow me, Sir, I’m just behind you.“
(Sir Peter Ustinov: Achtung Vorurteile. Reinbek bei Hamburg, Rowohlt 11. Aufl. 2006, S. 102)
Mir ging durch den Kopf, dass es wenig Sinn macht, einem Ziel hinterher zu rennen, wenn man keinen Vorsprung gewinnen kann. Wenn man aber einen Vorsprung hat, darf man nie als Erster in die Zielgerade einbiegen, als Letzter kann man nicht mehr überholt, sondern nur noch überrundet werden. Also muss man sich zwischen dem Ersten und Letzten bewegen, um schließlich siegreich über die Ziellinie zu gehen. Denn der Vorsprung des Verfolgers liegt in seiner gesammelten Energie, die er erst im Schlußspurt ausspielt. Er ist seinem Gegner voraus, wenn er nicht blind vorausläuft, sondern ihm hinterher ist. Und er kann seinen Gegner genau beobachten. Dieser spürt seinen Atem im Nacken und sieht bald nur noch seine Hacken. Damit löst sich die Paradoxie von dem Vorsprung des Verfolgers auf.
Der Dichter träumt, ihm renne ein Kritiker hinterher. Er fragt sich, was der Kritiker dabei empfinde. Er spürt, wie wichtig es für den Kritiker wäre, mit ihm zu reden. Er empfindet genauso. Aber er genießt es auch, den Kritiker aussichtslos hinterher rennen zu lassen. Plötzlich merkt der Dichter, der Verfolger ist gar nicht der Kritiker, sondern er selbst. Er ist es, der hinterher rennt.
(Martin Walser: Ein Traum in West Virginia (gekürzt). In: Literatur und Kritik. Herausgegeben von Walter Jens aus Anlass des 60. Geburtstags von Marcel Reich-Ranicki. Deutsche Verlagsanstalt Stuttgart, 1980, S. 3)

Ustinov: Dazu fällt mir eine wahre Geschichte von einem Kofferträger ein, dem ich am Flughafen von Dublin begegnet bin. Er bat mich höflich: „Follow me, Sir, I’m just behind you.“
(Sir Peter Ustinov: Achtung Vorurteile. Reinbek bei Hamburg, Rowohlt 11. Aufl. 2006, S. 102)
postmasuhr.de - 2. Sep, 15:36
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