MACHT
Der Raum, den die Katze überschattet, die Augenblicke der Hoffnung, die sie der Maus lässt, aber unter genauester Bewachung, ohne dass sie ihr Interesse an ihr und ihrer Zerstörung verliert, das alles zusammen, Raum, Hoffnung, Bewachung und Zerstörungsinteresse, könnte man als den eigentlichen Leib der Macht oder einfach als die Macht bezeichnen.
(Elias Canetti: Masse und Macht, Fischer Frankfurt 1994, S. 313 )
Diese Sätze von Elias Canetti bilden den Auftakt meiner Geschichte über Maxi und Mini:
Früher spielte er abwechselnd mit einer schwarzen Katze und einer weißen Maus. Die Katze hieß Maxi, die Maus Mini. Sein Vater hatte ihm Mini, die Maus, die Mutter Maxi, die Katze, geschenkt. Jonas ließ Mini im Rad laufen, bis ihr schwindlig wurde. Maxi quälte er zu Tode. Anfangs benutzte er eine Taschenlampe, später einen Kartoffelsack. Die kleine Katze sprang einer Lichtmaus solange hinterher, bis ihr Herz still stand. Dadurch trat eine Spielpause ein.
Als er Maxi in Ruhe und auf dem Teppich liegen gelassen, ja, fast schon vergessen hatte, rappelte sie sich wieder auf und fand langsam ins Leben zurück. Das Dasein würde sich jetzt nur noch auf die Jagd nach realen beweglichen, behaarten und gefiederten Objekten konzentrieren, die um ihr Leben rannten, flatterten und piepsten. Sie hatte sich entschieden, keine virtuelle Maus mehr zu verfolgen und diesen Vorsatz sofort in die Tat umzusetzen: Sie öffnete den Käfig der Minimaus, die sich immer noch im Rad gedreht hatte, nahm sie heraus und beschloss, ihr den Kopf abzubeißen. Damit wäre sie wieder auf den Geschmack gekommen, Mäuse zu töten.
Eben dies hatte die weiße Maus immer befürchtet. Pfeifen nützte nichts mehr. Ihr intensiver Geruch, der durch das Käfiggitter drang und sich im Haus verteilte, um sich überall mit der Ausdünstungen der Katze zu vermischen, würde Maxi nicht vom Äußersten abhalten.
Maxi hingegen hatte schon mit ihrem Katzengeruch alle Mäuse im Haus, außer Mini, in die Flucht geschlagen. Wenn sie in freier Natur schleichend das Gelände erkundet hätte, wären ihr vielleicht die Feldmäuse in Scharen entgegen gekommen. Welch angenehme Vorstellung! Da Maxi aber keinen Appetit auf den Verzehr noch so wohlriechender lebendiger Tiere verspürte, hätte sie die frei laufenden Mäuse zwar getötet, aber nicht verspeist und daher nur einen sinnlosen Fleischvorrat angelegt. Dennoch wäre sie fett und fetter geworden, weil Jonas grundsätzlich davon ausging, dass Maxi mit stinkendem Katzenfutter aus Konservendosen gefüttert werden müsse.

Wenn Maxi die weiße Maus laufen gelassen hätte, um sie mit den Augen zu verfolgen, wäre einerseits der Eindruck entstanden, dass sie lediglich mit ihr spielte. Es wäre aber andererseits auch deutlich geworden, dass es weniger ein Spiel als ein Experiment mit der Maus gewesen wäre, sobald sie das Opfer wieder eingefangen hätte. Nein, so brutal wäre keine Katze, sich mit ihrer Beute nur zu vergnügen. Sie hätte vielmehr spielerisch-analytisch erkunden wollen, wie sich zwei friedliche Haustiere, eine gefangene weiße Maus gegenüber einer zahmen schwarzen Katze im unabwendbaren Augenblick von Tod und Sterben verhalten würde.
Mini und Maxi kannten sich bisher nur von langen Blickkontakten. Ein kontrollierter Fluchtversuch wäre aber ohne weiteres denkbar gewesen, weil die Minimaus keine Zeit gehabt hätte, das Weite zu suchen oder sich tot zu stellen, aber alle Zeit der Welt, um zu realisieren, dass es besser gewesen wäre, dem Verfolger nicht den Rücken zuzukehren, was das Leben auf der Stelle verkürzt hätte, obwohl sie sowieso nicht mehr damit rechnen konnte, zu überleben und ihr Dasein nicht mehr der Rede wert gewesen wäre, weil ihre Sekunden gezählt waren, und sie, nachdem es ihr gelungen war, einen Vorsprung auf der Flucht zu erzielen und das Leben zu verlängern, doch niemals mehr hätte hoffen dürfen, in offener Landschaft, wie einst ihre feldgrauen Vorfahren, so gut wie frei und fast unsterblich zu sein. Die Zuversicht der Ahnen war natürlich schon angesichts der überall kreisenden Mäusebussarde immer schon trügerisch gewesen. Im Käfig war man relativ sicher, in der Natur vogelfrei.
Jonas steht am Fenster, sieht nach oben und bemerkt nicht, in welcher Gefahr die weiße Maus ist. Sein Blick wird von einem großen Vogel angezogen: der Falke steht in der Luft. Er späht nach Mäusen, die feine Urinspuren im Feld hinterlassen haben. Der Sturzflug endet dicht am Boden. Die Krallen greifen zu. Der Schnabel wird in den Nacken der Beute geschlagen.
Jonas fand, dass Maxi falsch gehandelt hatte, Mini den Kopf abzubeißen, auch wenn es kurz und schmerzlos gewesen war. Die Spielverderberin hatte nun die Todesstrafe zu erwarten. Sie war sowieso als Kuscheltier zu teuer, um durchgefüttert zu werden. Auf Dauer wäre die Katzenhaltung zu reinem Luxus und die Mäusejagd zu nutzloser Tierquälerei geworden. Außerdem mochte er diese langweiligen Haustiere nicht mehr.
Aus diesen Gründen stülpte er Maxi einen Kartoffelsack über, um das tobende Bündel in der Jauchegrube zu versenken. Minis kalte Überreste wickelte er in ein Einmaltuch und bestattete sie im Garten. Er betete kurz an Minis Grab, heulte aber nicht, sondern urinierte nur in die Jauchegrube. Als er zum zweiten Mal in die aufgeschäumte Brühe urinieren musste, verfluchte und verwünschte er das Bündel noch mit den Worten:
„Geh zum Teufel, Maxi, fahr zur Hölle!“ Als sie zum letzten Mal aus der Jauche auftauchte, hörte sie noch, wie er sie verhöhnte:
Ritze, ratze, ritze, ratze,
was macht heut die Miezekatze?
bevor Maxi, die schwarze Katze mit dem weißen Mäusekopf im Magen wie ein Stein unterging.
(Elias Canetti: Masse und Macht, Fischer Frankfurt 1994, S. 313 )
Diese Sätze von Elias Canetti bilden den Auftakt meiner Geschichte über Maxi und Mini:
Früher spielte er abwechselnd mit einer schwarzen Katze und einer weißen Maus. Die Katze hieß Maxi, die Maus Mini. Sein Vater hatte ihm Mini, die Maus, die Mutter Maxi, die Katze, geschenkt. Jonas ließ Mini im Rad laufen, bis ihr schwindlig wurde. Maxi quälte er zu Tode. Anfangs benutzte er eine Taschenlampe, später einen Kartoffelsack. Die kleine Katze sprang einer Lichtmaus solange hinterher, bis ihr Herz still stand. Dadurch trat eine Spielpause ein.
Als er Maxi in Ruhe und auf dem Teppich liegen gelassen, ja, fast schon vergessen hatte, rappelte sie sich wieder auf und fand langsam ins Leben zurück. Das Dasein würde sich jetzt nur noch auf die Jagd nach realen beweglichen, behaarten und gefiederten Objekten konzentrieren, die um ihr Leben rannten, flatterten und piepsten. Sie hatte sich entschieden, keine virtuelle Maus mehr zu verfolgen und diesen Vorsatz sofort in die Tat umzusetzen: Sie öffnete den Käfig der Minimaus, die sich immer noch im Rad gedreht hatte, nahm sie heraus und beschloss, ihr den Kopf abzubeißen. Damit wäre sie wieder auf den Geschmack gekommen, Mäuse zu töten.
Eben dies hatte die weiße Maus immer befürchtet. Pfeifen nützte nichts mehr. Ihr intensiver Geruch, der durch das Käfiggitter drang und sich im Haus verteilte, um sich überall mit der Ausdünstungen der Katze zu vermischen, würde Maxi nicht vom Äußersten abhalten.
Maxi hingegen hatte schon mit ihrem Katzengeruch alle Mäuse im Haus, außer Mini, in die Flucht geschlagen. Wenn sie in freier Natur schleichend das Gelände erkundet hätte, wären ihr vielleicht die Feldmäuse in Scharen entgegen gekommen. Welch angenehme Vorstellung! Da Maxi aber keinen Appetit auf den Verzehr noch so wohlriechender lebendiger Tiere verspürte, hätte sie die frei laufenden Mäuse zwar getötet, aber nicht verspeist und daher nur einen sinnlosen Fleischvorrat angelegt. Dennoch wäre sie fett und fetter geworden, weil Jonas grundsätzlich davon ausging, dass Maxi mit stinkendem Katzenfutter aus Konservendosen gefüttert werden müsse.

Wenn Maxi die weiße Maus laufen gelassen hätte, um sie mit den Augen zu verfolgen, wäre einerseits der Eindruck entstanden, dass sie lediglich mit ihr spielte. Es wäre aber andererseits auch deutlich geworden, dass es weniger ein Spiel als ein Experiment mit der Maus gewesen wäre, sobald sie das Opfer wieder eingefangen hätte. Nein, so brutal wäre keine Katze, sich mit ihrer Beute nur zu vergnügen. Sie hätte vielmehr spielerisch-analytisch erkunden wollen, wie sich zwei friedliche Haustiere, eine gefangene weiße Maus gegenüber einer zahmen schwarzen Katze im unabwendbaren Augenblick von Tod und Sterben verhalten würde.
Mini und Maxi kannten sich bisher nur von langen Blickkontakten. Ein kontrollierter Fluchtversuch wäre aber ohne weiteres denkbar gewesen, weil die Minimaus keine Zeit gehabt hätte, das Weite zu suchen oder sich tot zu stellen, aber alle Zeit der Welt, um zu realisieren, dass es besser gewesen wäre, dem Verfolger nicht den Rücken zuzukehren, was das Leben auf der Stelle verkürzt hätte, obwohl sie sowieso nicht mehr damit rechnen konnte, zu überleben und ihr Dasein nicht mehr der Rede wert gewesen wäre, weil ihre Sekunden gezählt waren, und sie, nachdem es ihr gelungen war, einen Vorsprung auf der Flucht zu erzielen und das Leben zu verlängern, doch niemals mehr hätte hoffen dürfen, in offener Landschaft, wie einst ihre feldgrauen Vorfahren, so gut wie frei und fast unsterblich zu sein. Die Zuversicht der Ahnen war natürlich schon angesichts der überall kreisenden Mäusebussarde immer schon trügerisch gewesen. Im Käfig war man relativ sicher, in der Natur vogelfrei.
Jonas steht am Fenster, sieht nach oben und bemerkt nicht, in welcher Gefahr die weiße Maus ist. Sein Blick wird von einem großen Vogel angezogen: der Falke steht in der Luft. Er späht nach Mäusen, die feine Urinspuren im Feld hinterlassen haben. Der Sturzflug endet dicht am Boden. Die Krallen greifen zu. Der Schnabel wird in den Nacken der Beute geschlagen.
Jonas fand, dass Maxi falsch gehandelt hatte, Mini den Kopf abzubeißen, auch wenn es kurz und schmerzlos gewesen war. Die Spielverderberin hatte nun die Todesstrafe zu erwarten. Sie war sowieso als Kuscheltier zu teuer, um durchgefüttert zu werden. Auf Dauer wäre die Katzenhaltung zu reinem Luxus und die Mäusejagd zu nutzloser Tierquälerei geworden. Außerdem mochte er diese langweiligen Haustiere nicht mehr.
Aus diesen Gründen stülpte er Maxi einen Kartoffelsack über, um das tobende Bündel in der Jauchegrube zu versenken. Minis kalte Überreste wickelte er in ein Einmaltuch und bestattete sie im Garten. Er betete kurz an Minis Grab, heulte aber nicht, sondern urinierte nur in die Jauchegrube. Als er zum zweiten Mal in die aufgeschäumte Brühe urinieren musste, verfluchte und verwünschte er das Bündel noch mit den Worten:
„Geh zum Teufel, Maxi, fahr zur Hölle!“ Als sie zum letzten Mal aus der Jauche auftauchte, hörte sie noch, wie er sie verhöhnte:
Ritze, ratze, ritze, ratze,
was macht heut die Miezekatze?
bevor Maxi, die schwarze Katze mit dem weißen Mäusekopf im Magen wie ein Stein unterging.
postmasuhr.de - 5. Sep, 22:07
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