REDE EINES CHEFARZTES

wer wird seine Augen vor dem bevorstehenden Zusammenbruch unseres Gesellschaftssystems verschließen? Vergegenwärtigen sie sich, dass der Deutsche vom Aussterben bedroht ist. Denn wir altern so schnell, dass Abermillionen derer, die ständig auf ihre Zeugung warten, nicht zum Zuge kommen und folglich niemals lebendig werden können, während nur wenige Neugeborene in eine glückliche Zukunft blicken. Ich frage Sie, cui bono, wem sollen wir einmal die tradierten Güter vererben?“
Im Saal kam anerkennendes Gemurmel auf.
„Das Deutsche Beefsteak hat seine Weltgeltung verloren. Der deutsche Wald stirbt und mit ihm das deutsche Wild. Im Gedächtnis der Jugend bleiben nur die toten Dichter und die Taten der untoten Helden, die wilde verwegene Jagd, das grenzenlose Grunzen der schwarzen Schweine, Hölderlins verklärende Lyrik der holden Schwäne und klirrenden Fahnen, die feinen Worte und höheren Werte, kein lyrisches Larifari sondern Heines Lied von der Loreley. Ich weiß nicht, was soll es bedeuten…“

Ich nickte, ich wusste, jetzt würde der Redner sich gleich bis in die graue Vorzeit vorwagen und von dort einen Übergang in die düstere Zukunft der Menschheit finden. Ich sollte Recht behalten.
„Die besten Stimmen verstummen. Es bleibt nur das He da, he da, he do, die Willkür der neun Walküren: Hojotoho, heiaha. Wie nobel auch Wagners Huldigung der Helden in der Nibelungensage war, mit seiner Nabelschau ließ sich dieser Nebel kaum durchdringen.

Ich nickte wieder nur kurz und nickte ein.
„Angesichts des globalen Klima- und Wertewandels dürfte jede moderne Utopie der Gesellschaft hinfällig werden. Schon wird die neue Generation - wie früher die 1848 er und 1968er - zur Umkehr und zum langen Rückmarsch aus den Institutionen gezwungen. Nun emigrieren die jungen Mediziner und Ingenieure. Der Rest ist Spiritualität und Senilität, das gilt für Wissenschaft und Wirtschaft, Kunst und Kultur, Politiker und Parteien, gewiss auch für Kirchen und Kliniken: Diese kollektive Vergreisung unserer prominenten Professoren, der Präsidenten und Päpste, Poeten und Prostituierten!“ (gekürzt aus "Die Visite")
postmasuhr.de - 11. Sep, 14:35
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